A.-C. Trepp: Von der Glückseligkeit alles zu wissen

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Titel
Von der Glückseligkeit alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Trepp, Anne-Charlott
Erschienen
Frankfurt 2009: Campus Verlag
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Günther Boss

Mit dieser umfangreichen Arbeit zum Verhältnis von «Natur und Religion» in der Frühen Neuzeit legt die Historikerin Anne-Charlott Trepp die leicht überarbeitete Fassung ihrer Habilitationsschrift (Göttingen 2006) vor. Ins Zentrum ihrer Untersuchungen stellt sie drei unkonventionelle, gleichwohl einflussreiche Naturforscher des protestantischen Raums: Den Pfarrer und Dichter Johann Rist (1607–1667), die (Insekten-)Malerin Maria Sibylla Merian (1647–1717) und den bedeutenden Physikotheologen Friedrich Christian Lesser (1692–1754). Kontextualisiert werden diese drei Studien durch einleitende Ausführungen zur pietistischen und eschatologischen Vorstellungswelt der Zeit (26–77, darin das Beispiel Johann Arndt) sowie durch ein Scharnierkapitel zur physikotheologischen Bewegung (306–372, darin das Beispiel August Hermann Francke). «Zu keiner anderen Zeit waren ‹Natur und Religion› in der europäischen Geschichte so eng miteinander verbunden wie in der Frühen Neuzeit [...] Vor allem im Kontext alternativer und intensivierter Frömmigkeitsformen des Luthertums entwickelte sich «Natur» zu einem wesentlichen Medium individueller wie auch konfessionell-kollektiver Sinngebungen und Heilsbestrebungen.» (8) Indem Trepp solch enge Verbindungen von Frömmigkeit und Naturerfahrungen in der Frühen Neuzeit herausstellt, kann sie die gängige Grossthese einer «scientific revolution» (vgl. 12 u.ö.), einer grundsätzlichen Antithetik von Religion und neuzeitlicher Naturwissenschaft, in Frage stellen und durch differenziertere Modelle ersetzen. So zeigt sie beispielhaft anhand von Lesser, dass sich die neue mechanische Naturerklärung und der Glaube an einen Schöpfergott, an einen Gott als «Künstler», problemlos verbinden konnten (vgl. 426ff.).

Die «mikro-geschichtliche» (vgl. 21) Vorgehensweise Trepps bringt es mit sich, dass die Studien zu den drei Protagonisten sehr detailreich ausgefallen sind. Trepp verarbeitet eine Fülle an Material, teils auch bisher unerschlossene Archivalien. Gleichsam mit einem Mikroskop – einem der wichtigsten Hilfsmittel der Naturbeobachtung in der Frühen Neuzeit – richtet sie den Blick auf die untersuchten «Naturkündiger». Die beigegebenen Abbildungen und die umfangreichen Original-Zitate machen den Gedankengang anschaulich und nachvollziehbar. So wird man gleichsam durch Johann Rists Naturalienkabinett und Laboratorium geführt und vertraut gemacht mit seiner Praxis der Alchemie und ihrer theologischen Deutung. Maria Sibylla Merians wechselvolle religiöse Biographie, die sie u.a. in die Labadistengemeinde nach Wieuwerd und später auf eine Forschungsreise nach Surinam führte, wird eng mit ihren Darstellungen der Insektenmetamorphose verknüpft. Gemäss Trepp fühlte sich Merian von der Insektenmetamorphose durch ein eminent religiöses Motiv angezogen, nämlich durch «die Idee der Wiedergeburt, die tatsächliche Erneuerung des Menschen, beginnend im Hier und Jetzt». (239) Um dies zu unterstreichen, lenkt Trepp den Blick auf Merians Umfeld in Nürnberg, den Nürnberger Blumenorden und die religiösen Erneuerungsbewegungen (241ff.). Friedrich Christian Lesser schliesslich wird als produktivster deutscher Physikotheologe in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorgestellt. Seine Schriften, zu denen u.a. eine Litho-, Insecto- oder Testaceo- Theologia zählen, werden als dezidiert theologische Arbeiten gedeutet. «Aufklärerisch- vernünftige Epistemologie und pietistisch vitale Gotteserfahrung greifen für Lesser bei der Erkundung der Natur ineinander.» (398f.) In diesem Kapitel über Lesser erfährt man auch Aufschlussreiches über die zeitgenössische Sammelleidenschaft und -systematik, über das zunehmende Interesse an «niederen» Geschöpfen wie Insekten oder über die strittige theologische Deutung des Donners.

Dieser Fülle an mikro-analytischen Aufsichten stellt Trepp verallgemeinernde Beobachtungen zur Seite, in denen sie bisherige, allzu lineare Deutungen naturwissenschaftlichen Fortschritts in Zweifel zieht. Die verbreiteten Säkularisierungstheorien (wie auch das «Konfessionalisierungsparadigma», 12f. und 474) beleuchtet sie kritisch. Das Verhältnis von Natur und Religion in der Frühen Neuzeit lasse sich «nicht mit den üblichen Säkularisierungsteleologismen begreifen, nach denen die Religion mit dem sogenannten ‹Aufstieg der neuen Wissenschaft› einen generellen Bedeutungsverlust erlitt, während die Natur mit steter Verwissenschaftlichung an religiöser Valenz verlor. Das Beziehungsgefüge zwischen Religion und Naturwissenschaft war deutlich komplexer» (468). Auch wenn Trepp auf quantifizierende wirkungsgeschichtliche Statistiken ganz verzichtet und die Frage nach der gesellschaftlichen Breitenwirkung der porträtierten «Naturwissenschaftler » letztlich offen bleiben muss, wird man ihrer Kritik an einer allzu flachen Säkularisierungsthese zustimmen. Diese Arbeit ist von einem religionsfreundlichen, man möchte sagen «religionsempathischen» Grundton getragen, wie er in der Wissenschaftsgeschichte wohl erst in den letzten Jahren vernehmbar wurde. Trepp verbindet auf souveräne Weise historische, theologische, naturwissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Einsichten. Sie löst in der Tat das Versprechen der «Transdisziplinarität» (24) ein. Auf diese Weise kann sie zeigen, dass lutherische Theologie der Frühen Neuzeit abseits des Mainstreams durchaus beides, das «Buch der Heiligen Schrift» und das «Buch der Natur», zu deuten und zu verbinden wusste.

Zitierweise:
Günther Boss: Rezension zu: Anne-Charlott Trepp, Von der Glückseligkeit alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/New York, Campus, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 543-544.

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